Mit der Antwort dieser Frage beschäftigt sich der nachfolgende Beitrag zu einer aktuellen Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) in seinem Urteil vom 07.07.2022 (BVerwG, Urteil vom 7. Juli 2022 – 2 A 4/21 –, juris).
Ausgangslage
Schwerbehinderte genießen im Angestelltenverhältnis in Deutschland wegen der vor Ausspruch einer Kündigung/Lösung des Arbeitsverhältnisses gemäß §§ 168 ff. SGB IX erforderlichen Beteiligung und Zustimmung des Integrationsamtes einen besonderen (Kündigungs-)Schutz. Diese besondere Schutzpflicht folgt u.a. aus den verfassungs- und gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben zur Gleichbehandlung und Nichtdiskriminierung wegen einer (Schwer-)Behinderung (vgl. u. a. Art. 3 Abs. 1 und Abs. 2 S. 2 GG und Art. 20 sowie Art. 21 EUGRCh).
Die betr. Schutzvorschriften in §§ 168 ff. SGB IX betreffen aber nach ihrem Wortlaut ausdrücklich nur Arbeitsverhältnisse, also angestellte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. In Folge einer Gesetzesänderung des SGB IX im Jahr 2004 sind Beamte in Deutschland von diesem besonderen Schutz im Falle der (drohenden) Beendigung ihres Dienstverhältnisses grundsätzlich ausgeschlossen worden.
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hatte in einer Entscheidung zu einer grds. vergleichbaren Bestimmungen für Arbeitnehmer im bulgarischen Recht im Rahmen des Gebots der Nichtdiskriminierung/Gleichbehandlung die Erstreckung derartiger (Kündigungs-) Schutzvorschriften für behinderte Angestellte grds. auch auf Beamte verlangt bzw. vorausgesetzt (vgl. EuGH, Urt. v. 09.03.2017 - C-406/15 - NZA 2017, 439 „Milkova“)
Damit hatte der EuGH auch für die hiesige Rechtslage die Frage aufgeworfen, ob auch Beamte in öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnissen in Deutschland in den Genuss der Schutzregelungen in §§ 168 ff. SGB IX kommen müssten und diese Vorschriften analog auch auf Beamtinnen und Beamte anzuwenden sind, wenn deren Dienstverhältnis (z.B. durch eine Versetzung in den Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit) vorzeitig beendet wird (vgl. u.a. von Roetteken, jurisPR-ArbR 1/2023 Anm. 5).
Sachverhalt zur Entscheidung des BVerwG
Der Kläger war beim Bundesnachrichtendienst (BND) im Statusamt eines Regierungsobersekretärs (BesGr. A 7 BBesO) im Beamtenverhältnis auf Lebenszeit beschäftigt und i. S. d. SGB IX mit einem Grad der Behinderung (GdB) in Höhe von 90 vom Hundert schwerbehindert (vgl. BVerwG, a. a. O.). Ihm waren vom Sozialamt die Merkzeichen "RF" und "GL" zuerkannt worden (a. a. O.).
Nach einem Autounfall war er ab 2015 für mehrere Jahre durchgehend "arbeitsunfähig" erkrankt, weshalb der Dienstherr letztlich die Versetzung in den vorzeitigen Ruhestand wegen dauernder Dienstunfähigkeit verfügte (a. a. O.). Das Integrationsamt wurde dabei nicht beteiligt (a. a. O.).
Hiergegen richtete sich der Kläger mit seinem Widerspruch und nachfolgend mit seiner Klage, über die das BVerwG gem. § 50 Abs. 1 Nr. 4 VwGO wegen der Sonderzuständigkeit für Klagen im Geschäftsbereich des BND in erster und letzter Instanz entscheiden musste (a. a. O. Das BVerwG hat die Klage abgewiesen. Das Integrationsamt sei bei der Versetzung eines schwerbehinderten Lebenszeitbeamten in den Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit nicht nach Maßgabe des § 168 SGB IX zu beteiligen (a. a. O.). Nach Auffassung der Richter ergebe sich Gegenteiliges insbesondere nicht aus der Rechtsprechung des EuGH (Urteil vom 9. März 2017 - C-406/15, Milkova - NZA 2017, 439), weil das durch das Verfahren der Zurruhesetzung für Lebenszeitbeamte bewirkte Schutzniveau (vgl. §§ 44 ff. BBG) jedenfalls nicht hinter dem durch die §§ 168 ff. SGB IX für Arbeitnehmer begründeten Niveau zurückbleibe (vgl. BVerwG, Urteil vom 7. Juli 2022 – 2 A 4/21 –, juris).
Rechtliche Bewertung
Die Entscheidung des BVerwG erscheint mit Blick auf die 2004 erfolgte Gesetzesänderung und den derzeitigen Wortlaut im SGB IX in Anbetracht der in der nationalen beamtenrechtlichen Rechtsprechung bislang häufig nur „zurückhaltenden“ Einbeziehung gemeinschaftsrechtlicher Vorgaben letztlich nicht überraschend.
Gleichwohl dürfte die andauernde „Debatte“ in der Literatur und im Ergebnis wohl auch in der anwaltlichen Praxis mit dieser Entscheidung des BVerwG nicht „ein für alle Mal“ beendet sei. Schließlich wird in der Literatur bereits eine Verkennung der Vorgaben in Art. 3 Abs. 1 und Abs. 3 S. 2 GG i. V. m. d. Sozialstaatsprinzip sowie der Bestimmungen Art. 20 Art und 20, Art. 21 EUGRCh durch das BVerwG kritisiert (vgl. u.a. von Roetteken, jurisPR-ArbR 1/2023 Anm. 5). Im Übrigen sei mit der vom Urteil des EuGH i. S. „Milkova“ teilweise abweichenden Argumentation/Entscheidung grds. zunächst eine Aussetzung und Vorlage an den EuGH im Sinne von Art. 267 AEUV angezeigt gewesen (vgl. u.a. von Roetteken, a. a. O.). Allein der EuGH wäre dann auch gem. Art. 101 Abs. 1 GG national „gesetzlicher Richter“ gewesen (a. a. O.). Insofern wird abzuwarten bleiben, ob und ggf. wie das BVerfG die Frage früher oder später beantworten wird. Zumindest bis dahin werden die Verwaltungsgerichte sich jedoch sicherlich überwiegend an der hier besprochenen Entscheidung des BVerwG vom 7.7.2022 orientieren.
Daher erscheint es umso wichtiger, sich bei drohender Dienstunfähigkeit bzw. Versetzung in den Ruhestand beamtenrechtlich versierten Rat zu holen und sich ggf. frühzeitig auch anwaltlich vertreten zu lassen.
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