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Schutzimpfung auf Veranlassung des Arbeitgebers - Anerkennung als Arbeitsunfall?

Matthias Wiese • Nov. 07, 2021

Handelt es sich bei den Folgen einer vom Arbeitgeber empfohlenen Schutzimpfung (gegen ein Influenza-Virus / Grippe), die im Betrieb und während der Arbeitszeit durch den Betriebsarzt durchgeführt wurde, um einen Arbeitsunfall?


Mit der Beantwortung dieser - gerade in Zeiten der Corona–Pandemie und der aktuellen öffentlichen Debatte um die COVID-Impfung und die Anordnung einer Impfpflicht - sehr interessanten Frage beschäftigt sich ein aktuelles Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz (LSG) vom 6.9.2021 (Az. L 2 U 159/20, juris). Schließlich wurden und werden (i. Ü. schon lange vor Corona) zahlreiche Infektionskrankheiten erfolgreich mit Schutzimpfungen bekämpft, wenn auch jedem Impfstoff ein gewisses (i. d. R. seltenes) Risiko einer eventuellen Impfkomplikation immanent ist.



Diese Fragen beantwortet das Bundesarbeitsgericht in Erfurt (BAG) in einer aktuellen Entscheidung vom 8.9.2021 (Az.: 5 AZR 149/21). Das hier besprochene Urteil des BAG betrifft Arbeitnehmer und Arbeitgeber gleichermaßen.


Sachverhalt
Der Kläger arbeitete als Gastronomieleiter für ein Unternehmen aus der Gesundheitsbranche (a. a. O.).
Der Arbeitgeber bat im September 2009 seine Mitarbeiter schriftlich darum, sich zu melden, soweit beabsichtigt sei, an einer Schutzimpfung gegen Influenza A (H1N1 - Schweinegrippe) teilzunehmen (a. a. O.). Der Impfstoff werde vom Gesundheitsamt kostenlos zur Verfügung gestellt, die Teilnahme sei freiwillig (a. a. O.). Impfberechtigt seien alle Mitarbeiter, die im Rahmen ihrer Tätigkeit Patientenkontakt hätten (a. a. O.).
Der Kläger ließ sich Anfang November 2009 impfen (a. a. O.).

Er berichtet darüber, dass alle Mitarbeiter mit Patientenkontakt zuvor aufgefordert wurden, an der Impfung teilzunehmen. Insbesondere habe man die Abteilungsleiter mündlich aufgefordert, sich impfen zu lassen, um als Vorbild zu dienen (a. a. O.). Ein Vorgesetzter habe nach dem o. g. Schreiben nachgefragt, welche Mitarbeiter sich impfen lassen wollten (a. a. O.). Er habe sich im betrieblichen Interesse und auf Grund der Impfempfehlung der Ständigen Impfkommission (StIKO) beim Robert-Koch-Institut zur Impfung verpflichtet gefühlt (a. a. O.).
Seit ca. 2013 klagte der Kläger über Fieberschübe mit Arthralgien und Exanthemen. Internistisch wurde eine seronegative rheumatische Arthritis diagnostiziert (a. a. O.). Im Jahr 2017 wurde im Entlassungsbericht zu einer medizinischen Rehabilitation über ein autoinflammatorisches Syndrom sowie Diabetes mellitus und arterielle Hypertonie berichtet (a. a. O.).

Der Kläger beantragte im Jahr 2017 bei der beklagten Berufsgenossenschaft (BG) die Überprüfung, ob ein „BG-Fall“ vorliege (a. a. O.). Er führte seine Erkrankungen auf die Impfung zurück (a. a. O.). Zu dieser Impfung sei er vom Arbeitgeber aufgefordert worden, zumal er auch beruflich Patientenkontakte hatte (a. a. O.).

Die BG lehnt die Anerkennung als Arbeitsunfall ab (a. a. O.). Eine allgemeine Grippeschutzimpfung stehe selbst dann nicht unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung, wenn sie vom Arbeitgeber empfohlen und finanziert werde (a. a. O.). Es sei ausdrücklich darauf hingewiesen worden, dass die Teilnahme an der Impfung freiwillig sei (a. a. O.).
Widerspruch und die Klage vor dem Sozialgericht blieben erfolglos (a. a. O.). 


Urteil des Landessozialgericht (LSG) Rheinland-Pfalz
Das LSG hat die Berufung des Klägers als unbegründet zurückgewiesen (a. a. O.).
Es könne nicht festgestellt werden, dass die Teilnahme an der Impfung in einem rechtlich wesentlichen sachlichen bzw. inneren Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit des Klägers als Beschäftigter gestanden habe (a. a. O.).
Es sei nämlich nicht erwiesen, dass die Teilnahme an der Grippeschutzimpfung der Erfüllung einer objektiv bestehenden Haupt- oder Nebenpflicht aus dem Beschäftigungsverhältnis diente (a. a. O.). Dies würde voraussetzen, dass der Kläger durch Tarifvertrag, Arbeitsvertrag oder Weisung des Arbeitgebers im Rahmen des Direktionsrechts verpflichtet gewesen wäre, an der Impfung teilzunehmen (a. a. O.). Das sei nicht der Fall gewesen, zumal im o. g. Schreiben vom Arbeitgeber klargestellt wurde, dass die Teilnahme an der Impfung freiwillig sei (a. a. O.).
Dass der Kläger aufgrund der objektiven Umstände subjektiv davon ausgehen durfte, zur Teilnahme an der Impfung verpflichtet zu sein, lasse sich ebenfalls nicht feststellen (a. a. O.). Zwar habe der Kläger im Klageverfahren durchaus nachvollziehbar vorgebracht, er habe sich aufgrund seiner Patientenkontakte, seiner Vorbildfunktion als Vorgesetzter und der Impfempfehlung der Ständigen Impfkommission (StIKO) beim Robert-Koch-Institut veranlasst gesehen, an der Grippeschutzimpfung teilzunehmen (a. a. O.).

Die subjektive Vorstellung, durch die Impfung auch den Interessen seines Arbeitgebers dienlich zu sein, reiche jedoch nicht aus, um den Versicherungsschutz zu begründen (a. a. O. unter Hinw. auf: BSG, U. v. 15.05.2012, Az. B 2 U 8/11 R). In der vorliegenden Konstellation könne nur dann Versicherungsschutz angenommen werden, wenn der Beschäftigte aus gutem Grund der Auffassung sein konnte, sich betriebsdienlich zu verhalten (a. a. O., unter Hinw. auf: BSG, U. v. 18.03.2008, Az.: B 2 U 12/07 R). Der Versicherungsschutz sei jedoch bei einer Handlung mit der Absicht zu verneinen, andere Zwecke zu verfolgen als die Erfüllung des Versicherungstatbestands der Beschäftigung, auch wenn das Handeln zugleich dem Unternehmen objektiv nützlich ist (a. a. O. ).

Eine Schutzimpfung gegen Grippe, die im Betrieb und während der Arbeitszeit durchgeführt wird, ist somit aus Sicht des LSG auch dann kein Arbeitsunfall, wenn sie aus Sicht des Arbeitnehmers den betrieblichen Interessen dienlich war und er deshalb darin eingewilligt hat (a. a. O.).

Daher konnte auch offen bleiben, ob es sich bei dem gegenständlichen (bewusst herbeigeführten) Impfgeschehen überhaupt um einen „Unfall“ i. S. d. § 8 Abs. 1 S. 2 SGB handeln konnte (a. a. O.). Gleiches galt Für die Frage nach der haftungsbegründenden Kausalität zwischen der Schutzimpfung im November 2009 und den seit 2013 aufgetretenen Erkrankungen (u. a. unklaren Fieberschüben; a. a. O.).


Rechtliche Einschätzung
Soweit das LSG eine gesetzliche Impfpflicht und nach Anhörung von Zeugen eine entsprechende Arbeitgeberweisung verneint hat, ist das Urteil konsequent.
Auf der anderen Seite erscheint auch ohne gesetzliche oder tarifvertragliche Impfpflicht im Einzelfall durchaus fraglich, wann die Grenze zur Anordnung des Arbeitgebers erreicht ist. Zumal gerade für Mitarbeiter im Gesundheitswesen die Schutzimpfung durchaus u. a. im Interesse des Arbeitgebers als „alternativlos“ dargestellt und auch sozialer Druck ausgeübt wurde bzw. wird (vgl. u. a. Plagemann in jurisPR-SozR 21/2021, Anm. 4). In solchen Fällen ist ein vom Arbeitgeber ausgeübter Zwang jedenfalls grundsätzlich rechtswidrig (a. a. O.). Daher fehlt - ohne Impfpflicht - auch hier der für die Anerkennung als Arbeitsunfall oder Berufskrankheit erforderliche betriebliche Zusammenhang.

 Insofern ist davon auszugehen, dass der Fall beispielsweise im Zusammenhang mit der neuartigen Corona – Schutzimpfung vom LSG ähnlich entschieden worden wäre. Auch hier fehlt es bislang an einer Impfpflicht und somit i. d. R. auch am Zusammenhang zur versicherten Tätigkeit.
Nach alledem berühren die Rechtssätze des LSG Rheinland-Pfalz zahlreiche Fragen im Kontext der Corona – Pandemie und der aktuellen kontroversen Debatte zur Einführung/Nichteinführung einer gesetzlichen Impfpflicht - mit allen Folgen (z.B. der Regulierung möglicher Impfschäden).
Zudem betreffen die Annahmen im hier besprochenen Urteil wegen der z.T. grundsätzlich vergleichbaren Regelungen zur Beamtenversorgung Angestellte und Beamte gleichermaßen.

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