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Ist die Erhöhung des Pflichtstundenkontingents für Lehrkräfte rechtmäßig?

Matthias Wiese • März 19, 2024

Ist die Erhöhung des Pflichtstundenkontingents für Lehrkräfte rechtmäßig? 



Das Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt (OVG Magdeburg) hatte sich kürzlich mit der Antwort auf diese Frage in zwei Normenkontrollverfahren im Rahmen seiner Urteile vom 7.3.2024 zu beschäftigen (OVG Magdeburg, Urteile vom 7.3.2024 – 1 K 66/23, 1 K 67/23). Demnach müssen Lehrkräfte in Sachsen-Anhalt sich damit anfreunden, dass sie in den nächsten Jahren pro Woche eine zusätzliche Pflichtstunde abhalten müssen - die Regelung in der Arbeitszeitverordnung zur sogenannten „Vorgriffsstunde“ sei rechtens, so das OVG Magdeburg (vgl. FD-ArbR 2024, 806745, beck-online; s. a. OVG Sachsen-Anhalt, PM 3/2024 vom 07.03.2024).

Sachverhalt zum Urteil des OVG
Die sog. Vorgriffsstunde wurde in Sachsen-Anhalt zusammen mit Langzeitarbeitszeitkonten für Lehrkräfte ab April 2023 i. R. d. „Verordnung zur Einführung eines Langzeitarbeitszeitkontos für Lehrkräfte und zur Änderung arbeitszeitrechtlicher Vorschriften im Schuldienst“ vom 14.3.2023 (GVBl. LSA S. 56) eingeführt. Lehrer und Lehrerinnen müssen gem. § 4b der Verordnung über die Arbeitszeit der Lehrkräfte an öffentlichen Schulen (ArbZVO-Lehr LSA) demnach bis 31.7.2028 jede Woche eine Unterrichtsstunde zusätzlich unterrichten, wobei die Stunden auf einem Lebensarbeitszeitkonto gutgeschrieben werden (a.a.O.). Die Lebensarbeitszeit soll sich also hiernach nicht verlängern (a.a.O.). Betroffen sind davon direkt nur Lehrkräfte an öffentlichen Schulen in Sachsen-Anhalt (a.a.O.). Eine beamtete Lehrerin und ein angestellter Lehrer riefen das OVG an (a.a.O.). Das OVG lehnte ihre Normenkontrollanträge ab (a.a.O.).

Entscheidung des OVG
Zunächst hat das OVG einen Verstoß gegen den von den Klägern als verletzt gerügten Parlamentsvorbehalt verneint (a.a.O.). Das Land Sachsen-Anhalt habe bereits die Pflicht-​ und Regelstundenzahl für seine Lehrkräfte auf gesetzlicher Grundlage durch Rechtsverordnung festsetzen dürfen, weshalb er auch die daran anknüpfende Regelung über die Vorgriffsstunden im Verordnungsweg habe treffen dürfen (a.a.O.). 
Die Regelung verstoße entgegen der Auffassung der Kläger auch nicht gegen die hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums im Sinne von Art. 33 Abs. 5 GG (a.a.O.). Es gebe keine Grundsätze, dass der Umfang der wöchentlichen Arbeitszeit nicht über 40 Stunden hinausgehen dürfe, dass die Lebensarbeitszeit eines Beamten nicht phasenweise unterschiedlich bestimmt werden dürfe oder dass Erhöhungen oder Ermäßigungen der Arbeitszeit vollbeschäftigter Beamter auf teilzeitbeschäftigte Beamte nur proportional übertragen werden dürften (a.a.O.).
Auch weitere Einwände der beiden Lehrkräfte wies das OVG als unbegründet zurück (a.a.O.). Im Hinblick auf die Einbeziehung und Behandlung teilzeitbeschäftigter Lehrkräfte verletze die Vorgriffsstunden-Regelung nicht den Gleichheitssatz (a.a.O.). Auch sonstige Gleichbehandlungsverstöße seien aus Sicht des OVG nicht ersichtlich (a.a.O.). Ebenso sei hiernach nicht zu beanstanden, dass nur tatsächlich erteilte Vorgriffsstunden dem Ausgleichskonto gutgeschrieben oder ausgezahlt würden (a.a.O.). Das bedeute schließlich nur, dass nur diejenige Lehrkraft in den Genuss des zeitlichen oder finanziellen Ausgleichs gelange, die zuvor entsprechende Vorleistungen tatsächlich erbracht hätte (a.a.O.).

Rechtliche Bewertung
Zunächst ist der Hintergrund der Bemühungen des Landes Sachsen-Anhalt und damit zugleich des vorliegenden Rechtsstreits klar. Infolge des (länderübergreifend) zuletzt stetig zunehmenden Lehrermangels, überfüllter Klassenräume und leider allzu oft unzähliger Ausfall-/Fehlstunden müssen die betr. Bundesländer haltbare Schritte unternehmen, um den bestehenden Unterrichtsverpflichtungen und dem staatlichen Bildungsauftrag noch haltbar nachzukommen. Dies betrifft natürlich auch die (möglichst effektive/adäquate) Personalverwaltung/-bewirtschaftung der an den Schulen vorhandenen Lehrkräfte. 
Zustimmung verdient der Verweis des OVG darauf, dass insbesondere die hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums keine Verpflichtung kennen, dass der Umfang der wöchentlichen Arbeitszeit nicht auch über 40 Stunden hinausgehen dürfe. Ebenso steht es dem Gesetzgeber insofern i.Ü. grds. offen, die Lebensarbeitszeit insgesamt (etwa für Beamte z. B. auch über das gesetzliche Renteneintrittsalter hinaus) zu verlängern. Allerdings stellt sich mit Blick auf die im Schulwesen generell (d. h., auch außerhalb Sachsen-Anhalts) häufig nur „fiktive“ Festsetzung von Unterrichts-/Lehrverpflichtungsstunden/-kontingenten wegen der aus Art 3, 5 und 6 EGRL 88/2003 - Art 31 Abs 2 EUGrdRCh - EWGRL 391/89 zwingend folgenden Pflicht des Arbeitgebers/Dienstherrn zur Erfassung der konkreten/effektiven/objektiven Arbeitszeit (vgl. EuGH, Urteil vom 14. Mai 2019 – C-55/18 –, juris; zur Geltung dieser Pflicht i. S. d. ArbSchG zuletzt auch BAG, Beschluss vom 13. September 2022 – 1 ABR 22/21 –, juris) durchaus die Frage, ob die vorliegende Art der Kontingentberechnung i. S. d. ArbZVO-Lehr LSA insgesamt (vor dem Hintergrund der einzuhaltenden wöchentlichen Höchstarbeitszeit) u.a. auch den o.g. gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben genügt/genügen kann. Schließlich werden die mit den Unterrichtsstunden (einschließlich der nun normierten Vorgriffsstunden) tatsächlich einhergehenden effektiven Arbeitszeiten (z. B. Zeiten für Vor- und Nachbereitung sowie diverse mit dem Unterricht an den Schulen zusammenhängende Aufgaben der Lehrkräfte) i. d. R. zeitlich nicht exakt erfasst.
Dies ist zum einen aus arbeitsschutzrechtlichen Gründen und zum anderen aber auch mit Blick auf die (u. a. auch haushaltsverfassungsrechtliche Pflicht zur) effektiven Stellenbewirtschaftung mehr als nur „bedauerlich“.
Es wird daher abzuwarten bleiben, wie sich die Situation an den Schulen und konkret die Arbeitszeit der Lehrkräfte zukünftig weiter entwickeln wird. Zumindest in Zeiten des allgegenwärtigen Lehrermangels dürften ähnliche Bestrebungen wie die des Landes Sachsen-Anhalt auch in anderen Bundesländern mutmaßlich erwogen werden. Dies jedenfalls dann, wenn die hier besprochenen Entscheidungen des OVG Sachsen-Anhalt tatsächlich rechtskräftig würden. Auf der anderen S. werden die betr. Bundesländer (neben der arbeitszeitrechtlichen Problematik) auch zu berücksichtigen haben, dass sie sich auf dem Arbeitsmarkt „im Wettbewerb“ um die Lehrkräfte mit anderen Bundesländern befinden, sodass durchaus nicht sicher ist, dass sich weitere Bundesländer dem Sachsen-Anhaltinischen „Modell“ schlicht anschließen werden. Zumindest wäre wegen des insbesondere arbeitsschutz-/-zeitrechtlichen Problems trotz des Ausgangs der Normenkontrollverfahren durchaus weiterhin individueller Rechtsschutz zu erwägen.

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