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Stellenbesetzung im öffentlichen Dienst - Pflicht zur Einladung zum Vorstellungsgespräch - Benachteiligung Schwerbehinderter

Matthias Wiese • Feb. 28, 2024

Stellenbesetzung im öffentlichen Dienst - Pflicht zur Einladung zum Vorstellungsgespräch - Benachteiligung Schwerbehinderter


Reicht es zur Erfüllung der Verpflichtung zur Einladung eines schwerbehinderten Bewerbers zu einem Vorstellungsgespräch in einem Bewerbungsverfahren um eine Stelle im öffentlichen Dienst i. S. d. § 165 S. 3 SGB IX aus, einem schwerbehinderten Bewerber lediglich zu einem (ersten) Vorstellungsgespräch im Rahmen eines Vorauswahlverfahrens einzuladen? Resultiert daraus ggf. gemäß §§ 1, 3, 7 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG) eine Diskriminierung/Benachteiligung wegen der Schwerbehinderung mit etwaigen Schadensersatzansprüchen i. S. v. § 15 Abs. 2 AGG?
Mit der Beantwortung dieser Fragestellungen hatte sich das Verwaltungsgericht Sigmaringen i. R. eines - hier besprochenen - Urteils vom 10.2.2023 (vgl. VG Sigmaringen, Urteil vom 10. Februar 2023 – 7 K 4878/20 –, juris) zu beschäftigen. 

Sachverhalt und Entscheidung des VG
Der mit einem GdB von 60% schwerbehinderte Kläger forderte wegen einer von ihm geltend gemachten Benachteiligung in einem Bewerbungsverfahren auf die von der Beklagten im Jahre 2019 ausgeschriebene und sodann anderweitig besetzte Stelle als stellvertretender Hauptamtsleiter eine angemessene Entschädigung nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz – AGG – (a.a.O.)
Der Kläger verfügte seit 2008 über den erfolgreichen Abschluss der Staatsprüfung für den gehobenen Verwaltungsdient (a.a.O.).
Die beklagte Gemeinde schrieb im Dezember 2019 die Stelle des stellvertretenden Hauptamtsleiters im Staatsanzeiger und im gemeindlichen Internetauftritt mit Bewerbungsschluss am 13.01.2020 aus (a.a.O.). Der Kläger bewarb sich fristwahrend unter Hinweis auf seine Schwerbehinderteneigenschaft und Beifügung von Unterlagen zu seinem bisherigen Werdegang auf diese Stelle (a.a.O.). Er und sechs weitere von insgesamt 11 Bewerbern wurden zu einem Vorstellungsgespräch ins Rathaus der Beklagten am 05.05.2014 eingeladen (a.a.O.). Seitens der Beklagten wurde das Gespräch vom Bürgermeister sowie der Hauptamtsleiterin geführt (a.a.O.). Im weiteren Verlauf des Auswahlverfahrens wurde der Kläger nach diesem Vorstellungsgespräch nicht mehr berücksichtigt (a.a.O.).
Mit vier der verbliebenen Bewerber wurde sodann ein weiteres Vorstellungsgespräch im Beisein der Amtsleiter geführt, während von diesen daraufhin wiederum zwei Bewerber eingeladen wurden, sich i. d. F. dem Gemeinderat vorzustellen (a.a.O.). Einer dieser Bewerber erhielt i. Erg. den Zuschlag für die ausgeschriebene Stelle (a.a.O.). Dem Kläger wurde mit Schreiben vom 21.01.2020 lediglich mitgeteilt, dass die Stelle an einen seiner Mitbewerber vergeben worden sei (a.a.O.).
Der Kläger mahnte mit E-Mail vom 15.02.2020 gegenüber der Beklagten sodann eine Begründung der Ablehnung seiner Bewerbung sowie Einsicht in die Bewerbungsverfahrensakten an und erhob zugleich Widerspruch gegen die Ablehnung seiner Bewerbung und machte weiterhin Ansprüche auf Entschädigung und Schadensersatz nach dem AGG wegen Verletzung seines Bewerberverfahrensanspruchs geltend (a.a.O.).
Im Nachgang forderte der Kläger schriftlich unter dem 20.03.2020 unter Verweis auf § 15 AGG i. V. m.it § 164 Abs. 1 SGB IX, § 165 S. 1 u. 3 u. 4 SGB IX, §§ 1, 3, und 7 AGG einen Entschädigungsanspruch i.H.v. drei Bruttomonatsgehältern nach BesGr. A9 LBesG B-W und begründete dies mit einer offenbar fehlenden Meldung der Stellenausschreibung an die Agenturen für Arbeit, dem verfrühten Ausschluss aus dem eigentlichen Auswahlverfahren und damit unzureichender Einladung zum Vorstellungsgespräch sowie mangelhafter Begründung/Dokumentation (a.a.O.). Da die Beklagte der Forderung nicht nachkam, erhob der Kläger am 28.12.2020 Klage und forderte eine angemessene Entschädigung ausgehend von der Besoldung nach BesGr. A9 LBesG B-W zzgl. Prozesszinsen ab Klageerhebung (a.a.O.).
Die Beklagte wendete ein, dass die Schwerbehinderung im Rahmen des Vorstellungsgesprächs keine Rolle gespielt habe und die Ablehnung der Bewerbung des Klägers schlicht im Sinne von Art. 33 Abs. 2 GG auf den gewonnenen Eindrücken in dem (ersten) Vorstellungsgespräch beruht hätten, was (mit 45-minütiger Dauer) sehr umfangreich gewesen sei (a.a.O.). Eine Protokollierung dieses Vorstellungsgesprächs fand indes nicht statt (a.a.O.).
Das VG Sigmaringen hat der Klage entsprochen und verurteilte die Beklagte zur Zahlung immateriellen Schadensersatzes gem. § 15 Abs. 2 AGG i. H. v. drei Monatsgehältern (im Zeitpunkt der Erhebung der Klage) nach der BesGr. A 9 (Eingangsstufe), d.h. i. H. v. 8.449,05 EUR (a.a.O.).
Zur Begründung führte das Verwaltungsgericht aus, dass aus § 165 S. 3 SGB IX folge, dass schwerbehinderte Bewerber auf eine von einem öffentlichen Dienstherrn ausgeschriebene Stelle bei einem mehraktigen Auswahlverfahren Anspruch darauf haben, dass sie so lange im Auswahlverfahren verbleiben, bis die letztverbindlich behördenintern über die Auswahl entscheidende Stelle einen eigenen Eindruck von der Eignung des schwerbehinderten Bewerbers gewinnen kann (a.a.O.). Diese Anforderung sei nicht erfüllt, wenn der schwerbehinderte Bewerber schon in einem Vorauswahlverfahren, welches das Ziel hat, der zur Letztentscheidung berufenen Stelle (hier: Gemeinderat) die geeignetsten Bewerber vorzuschlagen, aus dem weiteren Auswahlverfahren ausgeschlossen werde (vgl. VG Sigmaringen, a.a.O.). Etwas anderes gelte nur dann, wenn die fachliche Eignung offensichtlich fehle (vgl. § 165 S. 4 SGB IX) und dies hinreichend dokumentiert sei (a.a.O. im Anschluss an BAG, Urteil vom 27.08.2020 - 8 AZR 45/19 - NZA 2021, 200 Ls. 1), was hier auch nicht der Fall war (a.a.O.).

Rechtliche Bewertung
Der Entscheidung ist grds. zuzustimmen. Das hier besprochene Urteil belegt wieder einmal, wie wichtig es für den öffentlichen Arbeitgeber/Dienstherrn ist, sich auch der Pflichten i. S. v. § 165 S. 1 u. S. 3 SGB IX bewusst zu sein und diese hinreichend ernst zu nehmen, um Entschädigungsansprüchen zu vermeiden (vgl. von Roetteken, jurisPR-ArbR 45/2023 Anm. 4). Wie indes letztlich bei jedem Auswahlverfahren um Stellen im öffentlichen Dienst verdeutlicht der vorliegende Fall im besonderen Kontext der Entschädigungsansprüche nach AGG auch, wie bedeutsam insbesondere die Einhaltung der Dokumentationspflichten i. S. v. Art. 33 Abs. 2 i.V.m. Art. 19 Abs. 4 GG (also letztlich die lückenlose Dokumentation des gesamten Auswahlverfahrens und der Auswahlentscheidung) ist (s. a. von Roetteken, a.a.O.).

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