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Bundesarbeitsgericht: Kündigung nach Äußerungen in Chatgruppen?

Matthias Wiese • Sept. 04, 2023

Bundesarbeitsgericht: Kündigung nach Äußerungen in Chatgruppe?



Kann eine fristlose Kündigung eines Arbeitnehmers auf eine Äußerung in einer privaten Chatgruppe gestützt werden oder kann sich der Arbeitnehmer auf Vertraulichkeit berufen?
Diese Frage hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) in Erfurt mit seinem Urteil vom 24.8.2023 beantwortet. Mit der Entscheidung und der Antwort des BAG befasst sich der nachfolgende Beitrag.

Das BAG hat entschieden, dass ein Arbeitnehmer, der sich in einer aus sieben Mitgliedern bestehenden privaten Chatgruppe in stark beleidigender, rassistischer, sexistischer und zu Gewalt aufstachelnder Weise über Vorgesetzte und andere Kollegen äußert, sich gegen eine darauf gestützte außerordentliche Kündigung seines Arbeitsverhältnisses nur im Ausnahmefall auf eine berechtigte Vertraulichkeitserwartung berufen könne (vgl. BAG, Urteil vom 24. August 2023 – 2 AZR 17/23 –; BAG-Pressemitteilung Nr. 33/23; s. a. FD-ArbR 2023, 459054, beck-online).

Sachverhalt zum Urteil des BAG
Der bei der Beklagten beschäftigte Kläger gehörte seit 2014 einer Chatgruppe mit fünf anderen Arbeitnehmern an (a. a. O.). Im November 2020 wurde ein ehemaliger Kollege als weiteres Gruppenmitglied aufgenommen (a. a. O.). Alle Gruppenmitglieder waren nach den Feststellungen der Vorinstanz „langjährig befreundet“, zwei miteinander verwandt (a. a. O.). Neben rein privaten Themen äußerte sich der Kläger – wie auch mehrere andere Gruppenmitglieder – in beleidigender und menschenverachtender Weise u. a. über Vorgesetzte und Arbeitskollegen (a. a. O.). Nachdem die beklagte Arbeitgeberin hiervon zufällig Kenntnis erhielt, kündigte sie das Arbeitsverhältnis des Klägers außerordentlich fristlos (a. a. O.).
In den Vorinstanzen wurde der vom Kläger erhobenen Kündigungsschutzklage stattgegeben.

Entscheidung des BAG
Die Revision der Arbeitgeberin hatte vor dem BAG Erfolg. 
Nach den Rechtssätzen des BAG hatte das Berufungsgericht rechtsfehlerhaft eine berechtigte Vertraulichkeitserwartung des Klägers zu den ihm vorgeworfenen Äußerungen angenommen und das Vorliegen eines Kündigungsgrundes verneint (a. a. O.). Eine Vertraulichkeitserwartung ist hiernach nur dann berechtigt, wenn die Mitglieder der Chatgruppe den besonderen persönlichkeitsrechtlichen Schutz einer Sphäre vertraulicher Kommunikation in Anspruch nehmen können (a. a. O.). Das wiederum sei abhängig von dem Inhalt der ausgetauschten Nachrichten sowie der Größe und personellen Zusammensetzung der Chatgruppe (a. a. O.). Sind Gegenstand der Nachrichten – wie vorliegend – beleidigende und menschenverachtende Äußerungen über Betriebsangehörige, bedürfe es einer besonderen Darlegung, warum der Arbeitnehmer berechtigt erwarten konnte, deren Inhalt werde von keinem Gruppenmitglied an einen Dritten weitergegeben (a. a. O.).
Das BAG hat das zugrunde liegende Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen (LAG) insoweit aufgehoben und die Sache an das LAG zurückverwiesen (a. a. O.). Dieses wird dem Kläger Gelegenheit für die ihm obliegende Darlegung geben, warum er angesichts der Größe der Chatgruppe, ihrer geänderten Zusammensetzung, der unterschiedlichen Beteiligung der Gruppenmitglieder an den Chats und der Nutzung eines auf schnelle Weiterleitung von Äußerungen angelegten Mediums eine berechtigte Vertraulichkeitserwartung haben durfte (a. a. O.).

Rechtliche Bewertung
Der Entscheidung des BAG ist zuzustimmen. Insofern bleibt es dabei, dass Äußerungen gerade in den auf schnelle Verbreitung/Weiterleitung ausgelegten Plattformen selbstverständlich jederzeit wohlüberlegt sein sollten und auch im Zweifel das Arbeits- und/oder Dienstverhältnis betreffen können (s. z.B. zur Bezügekürzung im Disziplinarverfahren u. a. BVerwG, Urteil vom 18. Juni 2020 – 2 WD 17/19 –, BVerwGE 168, 323-338).
Auf der anderen Seite ist Arbeitnehmern und Beamten zu raten, im Falle einer schlicht auf derartige Äußerung gestützten Kündigung oder Einleitung eines Disziplinarverfahrens ggf. unverzüglich Kontakt zu einem entsprechend spezialisierten Rechtsanwalt des Vertrauens aufzunehmen. Schließlich bestehen sowohl bei Kündigungen als auch im Rahmen von Disziplinarverfahren für etwaigen Rechtsschutz regelmäßig enge Fristen.

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