Blog-Layout

Dienstunfähigkeit - Versetzung in den Ruhestand - ist die Zustimmung des Integrationsamtes bei schwerbehinderten Beamten erforderlich?

Matthias Wiese • Apr. 02, 2023

Dienstunfähigkeit von Beamten – was tun?

Mit der Antwort dieser Frage beschäftigt sich der nachfolgende Beitrag zu einer aktuellen Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) in seinem Urteil vom 07.07.2022 (BVerwG, Urteil vom 7. Juli 2022 – 2 A 4/21 –, juris).

Ausgangslage

Schwerbehinderte genießen im Angestelltenverhältnis in Deutschland wegen der vor Ausspruch einer Kündigung/Lösung des Arbeitsverhältnisses gemäß §§ 168 ff. SGB IX erforderlichen Beteiligung und Zustimmung des Integrationsamtes einen besonderen (Kündigungs-)Schutz. Diese besondere Schutzpflicht folgt u.a. aus den verfassungs- und gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben zur Gleichbehandlung und Nichtdiskriminierung wegen einer (Schwer-)Behinderung (vgl. u. a. Art. 3 Abs. 1 und Abs. 2 S. 2 GG und Art. 20 sowie Art. 21 EUGRCh).

Die betr. Schutzvorschriften in §§ 168 ff. SGB IX betreffen aber nach ihrem Wortlaut ausdrücklich nur Arbeitsverhältnisse, also angestellte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. In Folge einer Gesetzesänderung des SGB IX im Jahr 2004 sind Beamte in Deutschland von diesem besonderen Schutz im Falle der (drohenden) Beendigung ihres Dienstverhältnisses grundsätzlich ausgeschlossen worden.

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hatte in einer Entscheidung zu einer grds. vergleichbaren Bestimmungen für Arbeitnehmer im bulgarischen Recht im Rahmen des Gebots der Nichtdiskriminierung/Gleichbehandlung die Erstreckung derartiger (Kündigungs-) Schutzvorschriften für behinderte Angestellte grds. auch auf Beamte verlangt bzw. vorausgesetzt (vgl. EuGH, Urt. v. 09.03.2017 - C-406/15 - NZA 2017, 439 „Milkova“)

Damit hatte der EuGH auch für die hiesige Rechtslage die Frage aufgeworfen, ob auch Beamte in öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnissen in Deutschland in den Genuss der Schutzregelungen in §§ 168 ff. SGB IX kommen müssten und diese Vorschriften analog auch auf Beamtinnen und Beamte anzuwenden sind, wenn deren Dienstverhältnis (z.B. durch eine Versetzung in den Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit) vorzeitig beendet wird (vgl. u.a. von Roetteken, jurisPR-ArbR 1/2023 Anm. 5).


Sachverhalt zur Entscheidung des BVerwG

Der Kläger war beim Bundesnachrichtendienst (BND) im Statusamt eines Regierungsobersekretärs (BesGr. A 7 BBesO) im Beamtenverhältnis auf Lebenszeit beschäftigt und i. S. d. SGB IX mit einem Grad der Behinderung (GdB) in Höhe von 90 vom Hundert schwerbehindert (vgl. BVerwG, a. a. O.). Ihm waren vom Sozialamt die Merkzeichen "RF" und "GL" zuerkannt worden (a. a. O.).

Nach einem Autounfall war er ab 2015 für mehrere Jahre durchgehend "arbeitsunfähig" erkrankt, weshalb der Dienstherr letztlich die Versetzung in den vorzeitigen Ruhestand wegen dauernder Dienstunfähigkeit verfügte (a. a. O.). Das Integrationsamt wurde dabei nicht beteiligt (a. a. O.). 

Hiergegen richtete sich der Kläger mit seinem Widerspruch und nachfolgend mit seiner Klage, über die das BVerwG gem. § 50 Abs. 1 Nr. 4 VwGO wegen der Sonderzuständigkeit für Klagen im Geschäftsbereich des BND in erster und letzter Instanz entscheiden musste (a. a. O. Das BVerwG hat die Klage abgewiesen. Das Integrationsamt sei bei der Versetzung eines schwerbehinderten Lebenszeitbeamten in den Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit nicht nach Maßgabe des § 168 SGB IX zu beteiligen (a. a. O.). Nach Auffassung der Richter ergebe sich Gegenteiliges insbesondere nicht aus der Rechtsprechung des EuGH (Urteil vom 9. März 2017 - C-406/15, Milkova - NZA 2017, 439), weil das durch das Verfahren der Zurruhesetzung für Lebenszeitbeamte bewirkte Schutzniveau (vgl. §§ 44 ff. BBG) jedenfalls nicht hinter dem durch die §§ 168 ff. SGB IX für Arbeitnehmer begründeten Niveau zurückbleibe (vgl. BVerwG, Urteil vom 7. Juli 2022 – 2 A 4/21 –, juris).


Rechtliche Bewertung

Die Entscheidung des BVerwG erscheint mit Blick auf die 2004 erfolgte Gesetzesänderung und den derzeitigen Wortlaut im SGB IX in Anbetracht der in der nationalen beamtenrechtlichen Rechtsprechung bislang häufig nur „zurückhaltenden“ Einbeziehung gemeinschaftsrechtlicher Vorgaben letztlich nicht überraschend.

Gleichwohl dürfte die andauernde „Debatte“ in der Literatur und im Ergebnis wohl auch in der anwaltlichen Praxis mit dieser Entscheidung des BVerwG nicht „ein für alle Mal“ beendet sei. Schließlich wird in der Literatur bereits eine Verkennung der Vorgaben in Art. 3 Abs. 1 und Abs. 3 S. 2 GG i. V. m. d. Sozialstaatsprinzip sowie der Bestimmungen Art. 20 Art und 20, Art. 21 EUGRCh durch das BVerwG kritisiert (vgl. u.a. von Roetteken, jurisPR-ArbR 1/2023 Anm. 5). Im Übrigen sei mit der vom Urteil des EuGH i. S. „Milkova“ teilweise abweichenden Argumentation/Entscheidung grds. zunächst eine Aussetzung und Vorlage an den EuGH im Sinne von Art. 267 AEUV angezeigt gewesen (vgl. u.a. von Roetteken, a. a. O.). Allein der EuGH wäre dann auch gem. Art. 101 Abs. 1 GG national „gesetzlicher Richter“ gewesen (a. a. O.). Insofern wird abzuwarten bleiben, ob und ggf. wie das BVerfG die Frage früher oder später beantworten wird. Zumindest bis dahin werden die Verwaltungsgerichte sich jedoch sicherlich überwiegend an der hier besprochenen Entscheidung des BVerwG vom 7.7.2022 orientieren.

Daher erscheint es umso wichtiger, sich bei drohender Dienstunfähigkeit bzw. Versetzung in den Ruhestand beamtenrechtlich versierten Rat zu holen und sich ggf. frühzeitig auch anwaltlich vertreten zu lassen.


Sie haben Fragen zum Beamtenrecht, zum Beamten- und Arbeitsrecht im öffentlichen Dienst, zum öffentlichen Dienstrecht bzw. speziell zu der für Sie ratsamen Vorgehensweise im Zusammenhang mit längerfristiger Arbeits- oder Dienstunfähigkeit? Rufen Sie uns direkt an und vereinbaren einen Termin mit einem unserer Anwälte in Erfurt - oder nutzen Sie das Kontaktformular unserer Homepage.

Kontakt:

Telefon: 0361 347 900
Fax: 0361 347 9014
Hier finden Sie uns:

Fischmarkt 6
99084 Erfurt
Anfahrt:

Mit der Straßenbahn:
Linie 3, 4, 6 (Haltestelle Fischmarkt / Rathaus)

Mit dem Auto:
Parkplatz hinter dem Rathaus in der Rathausgasse, Parkhaus am Domplatz

Ihre Frage an uns:

Ihre Nachricht an uns:

Ein Lehrer, an einer großen Tafel stehend, vor einer Schulklasse.
von Matthias Wiese 19 März, 2024
Das Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt (OVG Magdeburg) hatte sich kürzlich mit der Antwort auf diese Frage in zwei Normenkontrollverfahren im Rahmen seiner Urteile vom 7.3.2024 zu beschäftigen (OVG Magdeburg, Urteile vom 7.3.2024 – 1 K 66/23, 1 K 67/23). Demnach müssen Lehrkräfte in Sachsen-Anhalt sich damit anfreunden, dass sie in den nächsten Jahren pro Woche eine zusätzliche Pflichtstunde abhalten müssen - die Regelung in der Arbeitszeitverordnung zur sogenannten „Vorgriffsstunde“ sei rechtens, so das OVG Magdeburg (vgl. FD-ArbR 2024, 806745, beck-online; s. a. OVG Sachsen-Anhalt, PM 3/2024 vom 07.03.2024).
3 Frauen sitzen sich an einem Tisch gegenüber
von Matthias Wiese 28 Feb., 2024
Stellenbesetzung im öffentlichen Dienst - Pflicht zur Einladung zum Vorstellungsgespräch - Benachteiligung Schwerbehinderter
Justitia vor hellem Hintergrund
von Matthias Wiese 29 Jan., 2024
Ist es möglich, seinen Bewerberverfahrensanspruch bei Vergabe von (Tarif-)Stellen im öffentlichen Dienst auch noch dann gerichtlich mit Aussicht auf Erfolg geltend zu machen, wenn der öffentliche Dienstherr/Arbeitgeber ohne Einhaltung einer adäquaten Wartefrist bereits einen Arbeitsvertrag mit einem Mitbewerber geschlossen hat? Wie muss im Falle der Wiederholung einer Auswahlentscheidung bzw. eines Auswahlverfahrens im öffentlichen Dienst die Stelle freigemacht werden?
Eine Person im Holzstuhl sitzend am Strand. Die Person hält ein Buch in der Hand.
von Matthias Wiese 14 Dez., 2023
Beamtenrecht: Entfernung aus dem Dienst wegen eigenm  ächtig „verlängerten Urlaubs“ während Corona-Pandemie?
von Matthias Wiese 20 Nov., 2023
Beamtenrecht: Wirkt sich Mehrarbeit von Teilzeitbeschäftigten auf die Höhe der Versorgungsbezüge aus?
Seitenansicht eines Mannes welcher ein Handy in den Händen hält
von Matthias Wiese 04 Sept., 2023
Kann eine fristlose Kündigung eines Arbeitnehmers auf eine Äußerung in einer privaten Chatgruppe gestützt werden oder kann sich der Arbeitnehmer auf Vertraulichkeit berufen?
Eine männliche Person die Dokumente unterzeichnet
von Matthias Wiese 11 Juli, 2023
Haben Prüflinge Anspruch auf Zurverfügungstellung unentgeltlicher Kopien der von ihnen angefertigten Aufsichtsarbeiten einschließlich zugehöriger Prüfergutachten? Wie wirkt sich dies auf gegebenenfalls vergleichbare Ansprüche außerhalb des Prüfungsrechts - zum Beispiel auf personenbezogene Unterlagen/Daten im öffentlichen Dienst - aus?
Zwei offene Hände die Geldscheine präsentieren
von Matthias Wiese 14 Juni, 2023
Das Bundesarbeitsgericht in Erfurt (BAG) hatte sich in einem Revisionsverfahren mit der Grundsatzfrage zu beschäftigen, ob Leiharbeitnehmer:innen für die Dauer einer Überlassung Anspruch auf gleiches Arbeitsentgelt wie vergleichbare Stammarbeitnehmer:innen des Entleihers haben.
Zwei Menschen geben sich an einem Arbeitstisch ein High Five
von Matthias Wiese 21 Apr., 2023
Bei längerer Dienstunfähigkeit kommt für Beamte nicht selten zur Versetzung in den Ruhestand. Das Verfahren ist in §§ 26 ff. Beamtenstatusgesetz (BeamtStG) in Verbindung mit den Beamtengesetzen des Bundes bzw. des jeweiligen Landes geregelt. Auch nach einer Zurruhesetzung kann sich jedenfalls bei verbesserter gesundheitlicher Situation ein Antrag auf erneute Berufung in das aktive Beamtenverhältnis gem. § 29 BeamtStG anbieten. In einer aktuellen Entscheidung konkretisiert das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig (BVerwG) die Rahmenbedingungen eines solchen Antrags und damit auch die hierbei auf Seiten des Dienstherrn bestehende Verpflichtung im Sinne von § 29 BeamtStG (BVerwG, Urteil vom 15. November 2022 – 2 C 4/21 –, juris).
Ein gelbes Schild mit Bundesarbeitsgericht in Erfurt
von Matthias Wiese 08 März, 2023
Im heutigen Wiese und Kollegen - Rechtsanwälte in Erfurt Blog geht es um die Frage, ob Urlaubsansprüche von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern verjähren können.
Weitere Beiträge
Share by: